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Selbstbeherrschung

Der Weg zu dem Leben, das ich mir wünsche

Wie Kinder Selbstbeherrschung lernen und damit ein Leben führen können, das ihren Vorstellungen entspricht.

“Du Außerirdischer!” spöttelte Jonas. Er wusste nicht genau, wie er mit jemandem umgehen sollte, der noch nicht mal Computer spielte. Lias zockte nicht, hatte kein Handy und sah kaum Fern. Mit ihm konnte er noch nicht mal über aktuelle Filme sprechen. Lias lächelte. Er merkte, dass sein Freund Mühe mit manchen Dingen hatte und er ihn einfach nicht in eine Box stecken konnte. Dann sagte er: “Ach, auf dem Mars geht es mir ganz gut.”

Wie kommt ein Junge wie Lias zu dieser Aussage? Da trägt sicher manches seinen Teil dazu bei. Aber ohne Selbstbeherrschung wäre dieses Gespräch ganz anders gelaufen.

Ja, Selbstbeherrschung ist ein altes Wort. Wir mögen es nicht. Aber nur, weil unsere Magengegend verstimmt ist, heißt das ja nicht, dass das Wort heute bedeutungslos ist. Im Gegenteil. Selbstbeherrschung ist unheimlich wichtig. Selbst heute noch. Warum? Weil die Früchte der Selbstbeherrschung so süß sind.

Die erste Frucht der Selbstbeherrschung ist die Selbstachtung. Ich begegne regelmäßig Menschen, die keine Selbstachtung haben und die Frustration und Enttäuschung über sich auf unterschiedliche Weise betäuben wollen. Das sind Menschen, die ihre Fahne in den Wind der Lust oder der Dominanz anderer Leute hängen. Und beides führt dazu, dass sie nicht das Leben leben, das sie eigentlich leben möchten.

Die zweite Frucht der Selbstbeherrschung ist die Identität. Menschen, die tun, was sie als richtig und gut empfinden, sind unabhängig von anderen Menschen. Sie haben eine starke Identität und suchen die Aufmerksamkeit und den Applaus nicht.

Mit der Antwort bezeugte Lias, dass er ein Leben führt, dass ihn zufriedenstellt. Ein Gegengewicht zum Druck aus der Schule und dem konsumierenden Lebensstil. Zuhause macht er Dinge, die ihm Spaß machen: Musik, Sport, Lesen. Und er hat Familie und Freunde, die ihm das Herz wärmen. Deshalb kann er sagen: „Ach, auf dem Mars geht es mir ganz gut.“

Wenn ich an meine Kinder denke, dann möchte ich ihnen genau das auch schenken. Doch wie geht das? 

Eine für mich wesentliche Erkenntnis über Selbstbeherrschung stammt von dem Nobelpreis-Träger Daniel Kahneman. In seinem Buch Thinking Slow and Fast schreibt er, dass Selbstbeherrschung eine mentale Disziplin ist und wie ein Muskel ermüdet. Das heißt, dass die Entscheidungen, die wir treffen, wenn wir “müde” bzw. untrainiert sind, nicht mehr die guten Entscheidungen, sondern angenehme Entscheidungen sind. Wir schlagen über die Stränge, urteilen pauschal, provozieren andere, essen ungesund, etc.

Daraus ergeben sich für mich ein paar wichtige Punkte:

Die vier häufigsten Selbstbeherrschungs-Fresser

  1. Fehlende Gewohnheiten im Leben. 
    Wer sich daran gewöhnt hat, sofort nach der Schule die Hausaufgaben zu machen, für den ist es keine Überwindung mehr. Wer die Gewohnheit hat, direkt nach dem Aufstehen ein Glas Wasser zu trinken, der macht das ohne nachzudenken. Er braucht sich nicht daran zu erinnern. Wer feste Lesezeiten hat, wird sich nicht erst darüber Gedanken machen müssen, um dann zu überlegen, welches Buch er/sie denn lesen könnte. Die gute Nachricht: Je mehr gute Gewohnheiten wir haben, desto weniger Energie brauchen wir, das Gute zu tun. Wenn wir Gewohnheiten haben, benötigen wir dafür keine Muskelkraft der Selbstbeherrschung. Und das bedeutet: Unser Kind hat plötzlich Kraft, andere Dinge umzusetzen, die es umsetzen will. 
  2. Unklare Grenzen von Papa und Mama. 
    Wir sehen sie regelmäßig: Jammernde Kinder in Kaufhäusern, die mit aller Kraft versuchen, die Grenzen zu verschieben, die Papa und Mama gesetzt haben. Wer sich das anschaut, wird feststellen, dass da einiges an Kraft und Leidenschaft drauf geht. Diese Energie darf viel produktiver genutzt werden! Das geht, indem ich mir überlege, welche Grenzen wichtig sind und welche ich überhaupt durchsetzen kann. Besonders Idealisten fallen hier gerne auf die Nase. Denn sie denken, man müsste doch alles Gute tun und alles Schlechte lassen. 
    Fakt ist:
    (1) ein vorherbestimmtes Kind hat keine Freiheiten und 
    (2) wir würden es niemals schaffen all diese Kämpfe zu gewinnen, was dann wieder dazu führt, dass unsere Kinder hoffen, unser Wort aufheben zu können.
    Wenn wir also überlegen, was die wichtigsten Kämpfe sind und diese auch wirklich durchsetzen, geben wir unserem Kind Freiheit und Ruhe. Für das Kind bedeutet das: Ich kann mir die Kraft des Nörgelns sparen und diese Kraft einsetzen, um wachsen zu können.
  3. Versuchung im Umfeld. 
    Ganz klar: Mit der Fernbedienung in der Hand ist es viel schwerer, sich für einen Abend mit dem Buch zu entscheiden. Wer dreimal an der offen daliegenden Schokolade vorbeiläuft, muss einiges an Trotzkraft investieren, um dem verräterischen Geschmack nicht zu folgen und die Schokolade unangetastet liegen zu lassen. Ein offener, unkontrollierter Internetzugang ist schon vielen zum Fallstrick geworden. Wenn ich also Energie sparen möchte, dann ist es hilfreich, das Umfeld so einzustellen, wie es dem Leben entspricht, das wir leben wollen. 
    Elemente, die nicht dazugehören, aber eine Versuchung darstellen, sind am besten außer Sicht- und Reichweite. Das ist besonders bei Medien der Fall, die oft Zeit und Willenskraft verbrennen, aber nicht effizient nutzen. Also – Schokolade am besten gar nicht erst einkaufen oder zumindest hinten im Schrank vergraben und bestimmte Medien-freie Zeiten festlegen, wie zum Beispiel bei den Mahlzeiten oder abends nach 20:00 Uhr.
  4. Unsicher sein, ob Mama und Papa mich mögen. 
    Kinder, die sich diesbezüglich unsicher sind, leben nicht einfach ohne die Liebe ihrer Eltern. Sie  versuchen, sich diese zu erarbeiten. Und dieses Erarbeiten führt zu einer Angespanntheit, die das Selbstbeherrschungs-Budet frisst. Das muss nicht sein! Eltern können dem Kind da starken Rückenwind geben. Wenn ich danach trachte, dass der Liebestank meines Kindes überquillt (siehe voriger Blog), kann es sich ganz auf sein Wachstum konzentrieren. Wichtig also: Zeige deinem Kind in jeder Situation, dass die Bindung zu dir niemals bricht. Besonders wichtig ist es, diese Qualität der Bindung herzustellen, wenn dich dein Kind enttäuscht hat. Da müssen Mama und Papa ab und zu mal den inneren Schweinehund überwinden und Brücken ohne „Wenn“ und „Aber“ bauen.

Das hilft dem Selbstbeherrschungs-Budget

  1. Sinnvoll leben. 
    So wie bei uns Erwachsenen,ist es auch bei Kindern. Wenn sie das Gefühl haben, ein sinnvolles Leben zu führen, dann kriegen sie extra viel Kraft. Wer weiß, dass er mit seinem Klavierspiel andere Leute im Gottesdienst bereichern kann, der übt mit einer ganz anderen Motivation. Wer sich selbst vergessen kann, um der Menschheit in irgendeiner Weise einen Dienst zu leisten, der lebt mit einer ganz anderen Kraft. Wir kommen heraus aus unserem Egoismus und erleben Reichtum im Geben. Wer das seinem Kind vermitteln kann, der gibt ihm einen gehörigen Zuschuss für sein Selbstbeherrschungs-Budget.
  2. Richtig assoziieren. 
    Viele Menschen neigen dazu, den Fernseher über Jogging zu stellen und Gummibärchen über Brot. Walter Mischel erklärt: „Wir können die langfristigen Folgen unseres Verhaltens nicht so stark spüren wie das heiße Verlangen in der Gegenwart, deshalb müssen wir uns die Folgen lebhaft vor Augen führen.“ 
    Weil die negativen Folgen von Medien, Fastfood, Rauchen und Alkohol erst Jahre später auftauchen, die positive Wirkung aber sofort, fällt es uns schwer, die Entscheidung für das zu treffen, was langfristig gut ist. Deshalb sollte ich mich, wenn ich joggen gehen möchte, an das klärende und belebende Gefühl nach dem Joggen erinnern. Ich möchte gerne gesund essen, aber, wie bei allem, gibt es Zeiten, in denen das klappt und dann gibt es andere Zeiten, in denen ich alle Prinzipien fallen lassen möchte. Mir persönlich hilft es, das Gute dem Ungesunden vorzuziehen, wenn ich mir vorstelle, was ich mit Zucker alles füttere. Und so sage ich mir: „Wenn du das isst, fütterst du alle Pilze und Schlechte-Laune- und Entzündungs-liebende-Bakterien.“ Das hat mir geholfen, den glitzernden Zucker anders zu sehen. 
  3. Richtig belohnen. 
    Jedes Kind freut sich auf Belohnungen. Deshalb sollten wir als Eltern mit Dingen belohnen, die wirklich positiv sind und auch in der Zukunft nicht zu Konflikten/Abhängigkeiten führen können. Ja, wir denken zuerst an „Süßes“, wenn wir an Belohnung denken. Aber wollen wir das wirklich? Dieses Denken: „Wenn du böse warst, musst du die Bücher aufräumen und wenn du gut warst darfst du Zucker essen?“ 
    Ich denke nicht. Ich räume die Küche ja auch nicht auf, weil ich böse war. So verstärken wir die ohnehin schon positive Wirkung des Zuckers (oder auch Fernseher schauen, Computer spielen und andere Dinge) und belegen Wichtiges (Küche aufräumen oder mit dem Hund rausgehen) negativ. Trainiert wird hier, dass wir bei unguten Situationen (Frustration, innere Aufgewühltheit) in das gleiche Schema verfallen, um Beruhigung/Befriedigung zu erfahren. Dagegen stehen „Gemeinsam-Zeiten“ in einer ganz anderen Dimension. Mit anderen Worten: Verschenke doch Zeit. Gemeinsame Spielzeit, ein gemeinsamer Ausflug (Schwimmbad, Zoo, Bekannte), anderen eine Freude machen etc. Jedes Kind hat eigene Vorlieben. Entdecke die positiven Vorlieben deines Kindes und nutze sie als Belohnung. (Für Ideen haben wir bei Kondoo eine Gutschein-Box erstellt, die in jeder Familie Gold wert ist.)
  4. Erfolge feiern/würdigen. 
    Wer Neues lernt, der steht oft vor einem Berg. Kein Instrument wird innerhalb eines Tages erlernt, kein sportlicher Erfolg ohne Schweiß und Muskelkater erreicht. Wer zum ersten Mal vor diesem Berg steht, der sieht nicht darüber hinweg. Wenn wir unserem Kind zur Seite stehen und mit ihm über den Berg gehen, dann erlebt das Kind etwas extrem Wichtiges: Über jeden Berg gibt es einen Weg. Und je öfter Berge überquert wurden, desto seichter wird ihr Schatten. Diese Erfolge sind unbedingt zu würdigen. Denn dadurch heben wir den Erfolg über den Schmerz und kräftigen unser Kind für den nächsten Aufstieg.
  5. Überlegt erholen. 
    Überlege dir, wie dein Kind sich nach einer Periode der Selbstbeherrschung positiv erholen kann. Bedenke, dass hochsensible Kinder teilweise auch von für uns „normalen“ Situationen herausgefordert werden können. Bewegung an der frischen Luft ist optimal für den Stressabbau. Wenn wir als Eltern es schaffen, Bewegung als Ausgleich für mentale Tätigkeiten schmackhaft zu machen, haben wir ein gutes Fundament für gesunde Erholung für die Zukunft gelegt. Dazu hilft es, sich gemeinsam und mit einem interessanten Ziel zu bewegen. Das fördert den Spaßfaktor.

Fazit

Jedes Kind profitiert, wenn es sich selbst beherrschen kann und so das Leben lebt, dass es sich wünscht.

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